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Christen in der AfD

Willkommen auf dem rot-grünen Kirchen-Parteitag!

Bericht und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Idea-Redaktion 

Ich sehe bei meinem Beitrag schon die Facebook-Debatten vor mir: Da sucht idea „mal wieder“ das Haar in der Suppe. Aber: Es ist ein ganzes Büschel. Ich habe viele glückliche Menschen gesehen, die sich gegenseitig ihrer Toleranz und Offenheit versichert haben, aber im Endeffekt schon im Vorhinein viele Andersdenkende und Themen bewusst oder unbewusst ausgeschlossen haben. Die rot-grüne Dominanz war an allen Ecken zu spüren. Kirchentagspräsident Hans Leyendecker versuchte das bei einem SPD-Empfang zu entkräften. Der Kirchentag sei nicht links, sondern konservativ – unter anderem, weil er sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzt. Wenn das schon konservativ ist, sind sie selbstverständlich auch hier alle konservativ.

Messianische Juden nein, Polyamorie ja

Messianische Juden auf dem Markt der Möglichkeiten mit seinen über 500 Ständen? Fehlanzeige. Ein Stand der Bundesvereinigung „Christen in der AfD“ auf dem Markt der Möglichkeiten oder ein AfD-Politiker auf einem Podium? Oh bitte, natürlich nicht. Das Thema Ökumene im offiziellen Programm? Selbst das tauchte nur am Rande auf. Es gab „Zentren“ für alle möglichen Themen, aber keines für die Ökumene. FDP-Vertreter auf Podien? Musste man mit der Lupe suchen. Den Veranstaltern scheine das Vertrauen zu fehlen, dass liberale Christen einen Beitrag zum Kirchentag leisten können, kritisierte der religionspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Stefan Ruppert, auf dem mäßig besuchten Kirchentagsempfang seiner Partei. In anderen Bereichen hatte der Kirchentag hingegen ein sehr weites Herz: Und so gab es einen Stand der Polyamoren auf dem Markt der Möglichkeiten – von Menschen also, die mehr als eine sexuelle Beziehung haben. Polyamore Menschen seien gesellschaftliche Realität, schrieben die Standbetreiber in einer Broschüre: „Viele von uns sind engagierte Mitglieder in einer christlichen Kirche. Wir gestalten Beziehungen nicht nach traditionellen Mustern, aber dennoch verlässlich, verbindlich und verantwortlich.“ Mit dem „Netzwerk polyamore Menschen und Kirche“ wolle man sich im kirchlichen Raum zeigen und auch allen denjenigen, die sich derzeit nicht zeigen wollen, vermitteln: „Ihr seid nicht allein.“

Einander zuhören – wirklich?

Angeblich wollen alle mit allen auf dem Kirchentag reden; beklagt wird, dass die Gesprächs- und Dialogkultur abnehme. Beispielhaft sei der kommissarische SPD-Parteivorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel genannt. Er führte beim SPD-Empfang aus, dass Demokratie davon lebe, dass man das Gespräch suche und einander zuhöre. Man müsse es für möglich halten, dass der andere recht hat. Und dann dankte er dem Kirchentag für die Entscheidung, AfD-Repräsentanten auf dem Protestantentreffen in Dortmund keinen Platz zu geben. Der Kirchentag gebe Vertrauen zurück, weil er eine klare Haltung formuliere. Schöner kann man sich selbst nicht widersprechen.

Trotz Ausschluss: AfD war Gesprächsthema

Den Stand der „Christen in der AfD“ hatte das Präsidium des Kirchentags nicht zugelassen. Grund sei der Präsidiums-Beschluss „Keine Toleranz der Intoleranz“ vom September 2018, wie das Gremium mitteilte. Stattdessen waren die „Christen in der AfD“ am Dortmunder Sonnenplatz außerhalb des Kirchentagsgeländes mit einem Info-Stand vertreten. Er musste teilweise von der Polizei geschützt werden, als Demonstranten auftauchten und lautstark den Anwesenden vorwarfen, keine Christen zu sein und die Vereinigung kritisierten, weil sie gegen ein „Recht“ der Frauen auf Abtreibung seien. Der kirchenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Volker Münz, der auch an dem Stand war, konnte im Nachhinein dem Ausschluss etwas Positives abgewinnen, da die AfD dadurch zum Gesprächsthema wurde. Münz, der auch Kirchengemeinderat und Bezirkssynodaler ist, kritisierte die politische Einseitigkeit und einige Angebote des Kirchentags: „Veranstaltungen wie ‚Vulven malen‘ und ‚Gottes Segen in der Transition (Geschlechtsumwandlung) spürbar erleben‘ sind einfach skandalös. Die vielen Zeitgeistthemen kritisiere ich aus Sorge um meine evangelische Kirche stärker als die Ausladung der AfD.“

Vulven malen: Kirchentag schließt Presse aus

Mit Spannung war vor allem das Malen von Geschlechtsteilen erwartet worden. In den Medien erntete die Veranstaltung vorab Hohn und Spott. Die BILD fragte „Was hat das bitte mit Theologie zu tun?“ oder „Noch Kirchentag oder schon Sexmesse?“. Dann die Überraschung vor Beginn des Malkurses: Die Presse wurde kurzfristig ausgeschlossen. Die junge Theologiestudentin Lea Klischat, die den Kurs abhalte, sei nervös. Man stelle sich einmal vor, eine bestimmte Partei würde die Presse ausschließen... 25 Frauen nahmen teil und waren begeistert, weitere 30 warteten auf dem Vorplatz und malten dort Geschlechtsteile auf den Boden. Warum man den Kurs überhaupt anbiete? Ziel sei es, so der Kirchentag, sich kreativ „mit der eigenen Körperlichkeit auseinanderzusetzen und in einer ungezwungenen Atmosphäre in Austausch über das weibliche Genital, die Vulva, zu treten“. Dazu werde nach Vorlagen mit bunten Farben auf Papier gemalt. Dadurch könne das Selbstbewusstsein gesteigert werden: „Dies steht in direktem Zusammenhang mit der lebensbejahenden Botschaft des Schöpfungsberichtes im Buch Genesis und bietet mit den Themen Schatz, Verletzlichkeit und Tabu weitere theologische Kontexte.“ Einige kritisierten diese Erklärung in den sozialen Medien. Eine Frau schrieb: „Bringt einen das Malen von Geschlechtsteilen Gott in irgendeiner Weise näher oder geht’s am Ende gar nicht um Gott?“

„Schöner kommen“

Daneben gab es noch das Podium „Schöner kommen“. Neben vielen Debatten konnten die Besucher an einer Übung teilnehmen, die die Sexualberaterin Julia Sparmann anleitete: „Schließ deine Augen für einen Augenblick ... nimm wahr, wie Dein Atem gerade fließt. Richte Deine Aufmerksamkeit zuerst auf deine Füße.... Wandere weiter zu Deinem Beckenraum, der Raum der von dem Becken und Knochen umschlossen wird. Schicke auch ganz sanft deinen Atem da rein. Schau, ob sich der Atem bis zum Beckenbogen ausbreiten kann. Wandere mit Deiner Aufmerksamkeit in Dein Geschlecht, in Dein Genital. Wenn Du eine Vulva hast, spüre sie in der Gesamtheit ...“ Uff. Das ging noch einige Minuten so weiter – und es folgten Worte aus dem Hohelied.

Debatte um Abtreibung

Ein Thema war – wie so häufig – die Debatte um Abtreibungen. Auf dem Markt der Möglichkeiten war unter anderem die christliche Lebensrechtsvereinigung KALEB (Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren) vertreten. Der Stand bekam in diesem Jahr Probleme. Abends beim Rundgang der ehrenamtlichen Hallenleitung entwickelte sich eine hitzige Debatte, berichtete der frühere KALEB-Geschäftsführer Gerhard Steier. Es ging um kleine Modelle, die die Größe des Embryos in der zehnten Schwangerschaftswoche zeigen. Die Embryonen würden wie Massenware verteilt, und sie lägen in den Ecken herum, lautete der Vorwurf. Und außerdem seien sie aus Plastik. Eine Schließung des Standes stand plötzlich im Raum. Am nächsten Tag kamen Vertreter der nächsthöheren Instanz, der Marktleitung. Erst wurde gefordert, die Embryonen ganz wegzunehmen, dann einigte man sich auf eine „defensive“ Verteilung. Die hauptamtliche Studienleiterin Stefanie Rentsch sagte anschließend idea, es habe einen Konflikt gegeben, man habe sich geeinigt und den Vorfall zu den Akten genommen. Das heiße erst mal nichts für die Zulassung beim nächsten Evangelischen Kirchentag. Steier bedauerte, dass es die Debatten um das Auslegen der kleinen Embryonen schon seit Jahren beim Kirchentag gebe. Bei keiner anderen Veranstaltung – christlich oder säkular – sei das der Fall. Übrigens gab es an einem Nachbarstand einer Diakonie zum Thema Schwangerschaftskonfliktberatung die Möglichkeit, die Hände durch zwei Löcher in eine Box zu stecken. Dahinter befand sich ein Penis, dem man dann blind ein Kondom überstreifen konnte. Das störte anscheinend niemanden.

Laaangweilig

Politisch ging es dem Kirchentag, von einigen Alibiveranstaltungen abgesehen, um rot-grüne Selbstbestätigung. So war etwa die Veranstaltung mit dem Juso-Chef Kevin Kühnert als Kamingespräch angekündigt, im Hintergrund auf einem Bildschirm flackerte denn auch tatsächlich ein Feuer. Und das war sinnbildlich: Wohlige Lagerfeuer-Atmosphäre und Selbstvergewisserung auf dem Podium. Als Gesprächspartnerin hatte man für Kühnert Ellen Ueberschär, ein Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahesteht, ausgewählt. Langweiliger geht es nicht – die beiden waren sich zu 99 Prozent einig. Man redete über bedingungsloses Grundeinkommen, Umweltschutz, die Kollektivierungs-Debatte – um Kirche, Glauben, Theologie ging es in den zwei Stunden nur in der letzten Frage, nämlich was Kühnert Vertrauen gebe. Er nannte Freunde und menschliche Beziehungen. Ein „gläubiger Mensch“ sei er nicht. Auch das ist typisch für den Kirchentag: Hier reden viele auf Podien, die mit dem christlichen Glauben und Kirche nichts oder wenig zu tun haben.

Begehen „fundamentalistische Christen“ Anschläge?

Und so gehörte wie bei den vergangenen Kirchentagen auch der Islam dazu. Die Auslandsbischöfin der EKD, Petra Bosse-Huber (Hannover), nannte es in einer Diskussionsrunde unter anderen mit dem Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, „billige Propaganda, Terroranschläge fundamentalistischer Sorte dem Islam pauschal zuzuschreiben. Man könnte das Gleiche auch mit fundamentalistischen Christen machen.“ Dankenswerterweise ließ das der Moderator der Veranstaltung, der muslimische Journalist Abdul-Ahmad Rashid, so nicht stehen, sondern antwortete schlau mit einem Hinweis auf einen Kinofilm. Er habe an eine Szene aus „Willkommen bei den Hartmanns“ denken müssen, in der der Hauptdarsteller Heiner Lauterbach zu Senta Berger sage, er habe noch keinen Christen erlebt, der sich in die Luft sprenge und dabei rufe: „Jesus ist groß.“ Darauf antwortete Bosse-Huber, dass es diese Form von Terror nicht gebe. Aber Menschen, „die Terroranschläge begehen – auf muslimische Einrichtungen, Moscheen oder auf Synagogen – und sich dabei auf ein vermeintlich christliches Menschenbild beziehen, die gehören genau in exakt die gleiche Kategorie“.

Stolz auf das Kopftuch sein?

Und dann legte Bosse-Huber noch nach, als es um das Kopftuch ging: „Ich fände eine Haltung klasse, wo wir sagen würden: Wir sind stolz darauf, dass Menschen das Kopftuch tragen. So wie ich stolz darauf bin, das Kreuz zu tragen.“ Erinnert sei da an eine Aussage der Mitbegründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, Seyran Ates, die übrigens wegen befürchteter Anschläge von radikalen Muslimen Tag und Nacht unter Polizeischutz steht. Sie sagt sehr klar, dass die Kirchen in einer Illusion lebten und nicht wahrnähmen, „dass hier, teilweise sogar mit ihrer Unterstützung, ein Islam Verbreitung findet, der die Einführung der Scharia will, also die religiöse Macht über die weltliche Macht stellen möchte“. Bereits vor einem Jahr äußerte Ates gegenüber dem Sonntagsblatt (München), dass die Kirchen beim Kopftuch schnell bereit seien, „das mit dem Kreuz zu vergleichen und für vermeintliche Religionsfreiheit einzutreten. Das enttäuscht mich sehr. Denn gerade die Kirchen sollten das doch theologisch besser wissen.“ Denn das eine sei das „religiöse Symbol für die gesamte christliche Gemeinschaft, das andere ist eine Kleiderordnung für die Frau, welches ein sehr konservatives Rollenverständnis ausdrückt. Die Kleiderordnung ist letztlich ein bestimmtes politisches Bekenntnis.“ Da kann man sich nur wünschen, dass beim nächsten Kirchentag nicht Mazyek auf dem Podium sitzt – der in Dortmund der Bischöfin natürlich nicht widersprochen hat –, sondern dass Bosse-Huber und Ates über das Frauenbild im konservativen Islam sprechen. Das wäre lehrreich.

Der Kirchentag steht für gering ausgeprägte Debattenkultur

Und dann wäre da noch die Klimafrage. Wer Applaus bekommen wollte, musste sich für Umweltschutz aussprechen. Funktioniert immer. Ueberschär von der Böll-Stiftung sagte: „Wir brauchen ein Mainstreaming für Klima, wie wir es für Genderfragen haben.“ Und so wurden auch die „Fridays for Future“-Veranstaltungen über den grünen Klee gelobt. Die „deutsche Greta“ Luisa Neubauer erhielt Ovationen für ihren Aufruf, Christen sollten sich mit „Fridays for Future“ verbünden. Eine interessante Frage stellte der Theologe Thomas Schirrmacher als Besucher bei einer Veranstaltung des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) der CDU/CSU: Welche Kräfte stehen hinter der schwedischen Klimaaktivistin Greta, die drei Pressesprecher habe, und hinter dem Rezo-Video, in dessen Impressum eine Agentur genannt ist? Beantwortet wurde diese Frage nicht. Der Kirchentag will Seismograf sein, eine Zeitansage. Und das ist er: für gering ausgeprägte Debattenkultur, Diskussionsmüdigkeit, Wohlfühlen in Blasen, die Unfähigkeit, miteinander zu diskutieren. Ein Kirchentag, der Widersprüche nur schwer aushält, dafür Widersprüche produziert.

Bericht und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Idea-Redaktion Daniela Städter

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